Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Laut und leise“ im Deutschen Architektenblatt 08.2020 erschienen.
Vor nunmehr zwei Jahren ist die letzte aktualisierte Fassung der zentralen Schallschutznorm für den Hochbau, die DIN 4109: 2018, erschienen und in den meisten Bundesländern bauordnungsrechtlich als verbindliche technische Baubestimmung eingeführt worden. Die Anforderungen an Arbeitsstätten, Krankenhäuser, Schulen und andere Gebäudearten sind dabei im Wesentlichen unverändert geblieben und stehen seitens der meisten Planer und Nutzer auch nicht in der Kritik. Anders verhält es sich beim Wohnungsbau, zumal hierzu auch das Erscheinen des Teils 5 der DIN 4109 mit Vorschlägen für ein erhöhtes Schallschutzniveau bevorsteht. Im Zuge der Neufassungen stellen sich viele am Bau Beteiligte Fragen: Welche Probleme der letzten Jahre und Jahrzehnte wurden damit tatsächlich gelöst, welche sind nach wie vor offen und welche sind neu hinzugekommen?
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DIN 4109-1: Norm aus den 1930ern
Die DIN 4109-1 ist bezüglich ihres Selbstverständnisses eine Norm zur Gefahrenabwehr. Das heißt, das darin definierte Schallschutzniveau dient dem Schutz der Gesundheit und der Wahrung der Privatsphäre. Dieser Schutz wird ausschließlich gegenüber fremden Wohn- und Arbeitsbereichen und auch nur für sogenannte schutzbedürftige Räume definiert. „Schutzbedürftig“ sind zum Beispiel die Wohn- und Schlafräume in Wohnungen, alle anderen Räume zählen dazu nicht! Dieses grundlegende Selbstverständnis besteht bereits seit den ersten Ansätzen zur Regelung des baulichen Schallschutzes Ende der 1930er-Jahre.
Die Schallschutzniveaus wurden seinerzeit vornehmlich nach praktischen Gesichtspunkten gewählt, indem im Wesentlichen die mit den damals gängigen Baukonstruktionen erzielten Schalldämmwerte für die Luft- und Trittschalldämmung als Anforderung in die DIN 4109 übernommen wurden. Es gibt jedoch bis heute keine systematische Untersuchung, die aussagt, welches Schallschutzniveau wirklich notwendig ist, um einen adäquaten „Gesundheitsschutz“ herzustellen. Da es also keine wissenschaftliche Aussage gibt, die für den Erhalt des Gesundheitsschutzes höhere Anforderungswerte als die damaligen verlangt, wurden bei der Neufassung der DIN 4109: 2018 die Anforderungen auch in den meisten Fällen nicht angehoben.
Unterstes Schallschutzniveau
An den wenigen Stellen der neuen Norm, an denen die Anforderungen doch angehoben wurden, wurden diese lediglich an die aktuellen Bauweisen angepasst. Bestes Beispiel sind dafür Doppel- und Reihenhäuser, die im Gegensatz zu früher heute standardmäßig zweischalig erstellt werden und dadurch auch bei der Wahl schalltechnisch ungünstiger Baustoffe, wie Trennwänden mit zu geringer Rohdichte, ein höheres Schallschutzniveau erbringen. Die Werte wurden dabei aber nur soweit angepasst, dass alle zweischaligen Bauweisen, auch die schalltechnisch ungünstigeren, realisierbar sind. Auf den Punkt gebracht heißt das: Schlechter als nach DIN 4109 kann man Doppel- und Reihenhäuser schalltechnisch heutzutage kaum bauen.
Gleiches gilt für die Anpassung des Trittschallschutzes, der im Wohnungsbau um drei Dezibel erhöht wurde. Die Erhöhung um drei Dezibel, wird im Massivbau unter Verwendung der derzeit üblichen Konstruktion mit schwimmendem Estrich aber ohnehin bereits übertroffen. Somit ist die Anpassung keine echte Erhöhung von Schallschutzniveaus, sondern ein weniger wichtiges Nachziehen. Allerdings hat der Holzbau Schwierigkeiten die erhöhten Anforderungen mit seinen gängigen Konstruktionen zu erreichen. Die Vertreter des Holzbaus hatten sich daher gegen die Verschärfung der Anforderungen gestellt. Dabei können die gängigen Holzbaukonstruktionen mit vergleichsweise geringen Verbesserungen dieses Schallschutzniveau ohne Probleme erfüllen. Näheres findet sich hierzu in der aktuellen Broschüre des Informationsdienstes Holz zum Schallschutz.
Nächtlicher Außenlärmpegel
Eine wirkliche Neuerung ist im Bereich der Bemessung der Schalldämmung von Außenbauteilen erfolgt. Hier wurde zunächst zur Grundlage der Bemessung auch das nächtliche, um zehn Dezibel erhöhte Schutzbedürfnis für Wohn- und Schlafräume berücksichtigt. Nach DIN 4109: 2016 wird dazu der zugrunde liegende Außenlärmpegel für die Nacht anders berechnet. Nach ersten Berechnungen und Anwendungen wurde jedoch klar, dass diese Änderungen im Einzelfall zu deutlich höheren Fassadenschalldämmungen (von bis zu 15 Dezibel) führen können. Um die Folgen dieses schweren „Eingriffes“ abzumildern, gelten die Anforderungen nach einer kurzfristigen Änderung jetzt nur für „Räume, die überwiegend zum Schlafen genutzt werden“.
Lärm durch Schienenverkehr
Eine weitere Anpassung betrifft den Abschlag von fünf Dezibel bei der Berücksichtigung von Schienenverkehrslärm, der mit der DIN 4109: 2018 eingeführt wurde. Das ist für viele am Bau Beteiligte verwirrend, denn baurechtlich unterscheiden sich Schlaf- und Wohnräume überhaupt nicht. Zudem wird der Abschlag für Schienenverkehrslärm unter Fachleuten kontrovers diskutiert. Wie ist also zu planen und zu dimensionieren? Um eine Lösung zu finden, hat der DIN-4109-Ausschuss einen Expertenkreis eingesetzt, der möglichst schnell ein tragfähigeres Konzept zur Behandlung des Außenlärms erarbeiten soll. Bis ein Ergebnis vorliegt, bleibt es bei der in großen Teilen unbefriedigenden Übergangssituation. Der Entwurf eines ersten tragfähigen Konzeptes zum „Außenlärm“ wird 2021 erwartet.
Dauerbrenner: erhöhter Schallschutz
Mit dem alten Beiblatt 2 der DIN 4109: 1989 und der VDI 4100 gab es schon seit vielen Jahren Regelwerke, die Kennwerte für erhöhte Schallschutzniveaus nennen. Die VDI 4100 beinhaltet historisch drei Schallschutzstufen, wobei die untere Stufe die der DIN 4109 entspricht. Die Erarbeitung der VDI 4100: 1994 erschien seinerzeit nötig, da das Beiblatt 2 nur eine Stufe des erhöhten Schallschutzes auswies, die in Bezug auf die Luftschalldämmung erhöhte Werte von nur ein bis zwei Dezibel vorsah und an der Definition einer hörbaren Stufe für den erhöhten Schallschutz klar vorbeiging. Unter Experten sind für ein hörbar erhöhtes Schallschutzniveau im Bereich der Luftschalldämmung und für Geräusche aus Wasserinstallationen und haustechnischen Anlagen aber mindestens drei Dezibel erforderlich. Für die Trittschalldämmung gilt eine Erhöhung von fünf bis sieben Dezibel als sachgerecht – dies nicht wegen einer oft zitierten anderen Wahrnehmbarkeit von Trittschallgeräuschen, sondern eher, weil sich eine Erhöhung der Trittschalldämmung schlicht viel einfacher realisieren lässt.
Zwei sehr bekannte Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) aus den Jahren 2006 (Az.: VII ZR 45/6) und 2007 (54/7) zum Schallschutz von Doppel- und Reihenhäusern beziehungsweise Wohnungen haben die Diskussion um die rechtliche Einordnung des erhöhten Schallschutzes deutlich verändert. Der BGH hat geurteilt, dass die DIN 4109 für die Herstellung eines üblichen Wohn- und Komfortstandards trotz Vertragsvereinbarung in der Regel keine allgemein anerkannte Regel der Technik ist. Die bis zum heutigen Tage geführten Diskussionen zu diesem Thema sind leider oft viel zu undifferenziert und somit oft falsch.
Einfacher oder üblicher Wohnstandard?
Sofern Wohnungen also keinen üblichen Wohn- und Komfortstandard aufweisen, wie Sozialwohnungen oder einfacher Wohnstandard, können sie nach der DIN 4109 gebaut werden. Doppel- und Reihenhäuser sowie Wohnungen, die einen üblichen Wohn- und Komfortstandard aufweisen, sind mit einem erhöhten Schallschutz zu errichten. Anders gesagt: Die DIN 4109 ist die allgemein anerkannte Regel der Technik in Bezug auf die Herstellung eines einfachen, jedoch nicht in Bezug auf die Herstellung eines üblichen Wohn- und Komfortstandards. Für Letzteren gilt ein erhöhtes Schallschutzniveau.
Bleibt die Frage: Wenn schon für den üblichen Wohn- und Komfortstandard der erhöhte Schallschutz „geschuldet“ ist, welcher Standard ist geschuldet, wenn der Wohnstandard ein gehobener oder gar ein luxuriöser ist? Obgleich die wegweisenden Urteile schon 13 Jahre alt sind, ist diese brisante Frage gerichtlich bis heute noch nicht einschlägig beantwortet und muss somit aktuell weiter offenbleiben. Hier hilft in der Praxis ein guter Fachplaner, um nicht in die Falle zu tappen.
Regelwerke nicht kompatibel
Versucht man, sich dem erhöhten Schallschutz zu nähern, trifft man auf mindestens vier verschiedene Dokumente: die DIN 4109, Beiblatt 2, die VDI 4100, die DEGA-Empfehlung 103 und den Entwurf der DIN 4109 Teil 5. Da die Regelwerke untereinander nicht kompatibel sind, ist die Verwirrung im Zusammenhang mit den genannten Urteilen extrem groß. Angesichts dieses unbefriedigenden Zustandes gibt es jetzt immerhin endlich den Versuch, zumindest die VDI 4100 mit der DEGA-Empfehlung 103 zu einem neuen Dokument zu vereinen. Es sollen dort mehrere Schallschutzstufen zum erhöhten Schallschutz definiert werden und es soll auch die Nutzung verschiedener Kennwerte möglich sein. Erste Entwürfe hierzu dürften 2021 vorliegen.
Was leistet der neue Teil 5 der DIN 4109?
Bleibt die Frage nach Bedeutung und Sinn des Teils 5 der DIN 4109. Auch wenn ursprünglich das Beiblatt 2 zurückgezogen und der erhöhte Schallschutz nicht mehr in einer DIN-Norm geregelt werden sollte, versteht sich die DIN 4109, Teil 5 doch als Nachfolger von DIN 4109, Beiblatt 2. In beiden Dokumenten ist jeweils nur eine Stufe für den erhöhten Schallschutz definiert. Die Erstellung dieses Dokumentes wurde vornehmlich von Teilen der Bauwirtschaft betrieben, weil man aus Baukostengründen die Definition eines erhöhten Schallschutzniveaus für hinreichend erachtet. Letztlich wird vonseiten der Bauwirtschaft aber so versucht, die unterschiedliche schalltechnische Leistungsfähigkeit von Baustoffen und Bauweisen zu verschleiern. Definiert man nur ein einziges erhöhtes Schallschutzniveau, wird nicht mehr ersichtlich, dass die Verwendung von konkurrierenden Baustoffen noch weitere, höhere Schallschutzstufen erreichen würde.
Anders gesagt: Es soll nicht klar werden, welcher Baustoff und welche Bauweisen schalltechnisch optimal und welche eher mittelmäßig bis schlecht sind. Am besten ist dies wieder am Beispiel der Doppel- und Reihenhäuser sichtbar, die bei massiven schweren Bauweisen der Trennwand bewertete Bau-Schalldämm-Maße von meist weit über R’w > 72 Dezibel erreichen. Leichte und ungünstige Bauweisen kommen dagegen nicht über 62 Dezibel hinaus. Letzterer Wert steht dann auch demnächst im Teil 5 der DIN 4109 als Empfehlungswert, der einem wirklichen erhöhten Schallschutz in keiner Weise entspricht.
Kein erhöhter Schallschutz für Außenbauteile
Im Übrigen sind bisher Außenbauteile grundsätzlich vom erhöhten Schallschutz ausgenommen, da dies gegebenenfalls eine zu ruhige Wohnung und somit eine stärkere Hellhörigkeit gegenüber den Geräuschen aus benachbarten Wohnungen oder auch innerhalb des eigenen Wohnbereichs zur Folge hätte.
Rechenverfahren
Aktuell steht bei einigen am Bau Beteiligten auch das neue Rechenverfahren der DIN 4109-2 in der Kritik, in diesem Fall aber zu Unrecht. Im Vergleich zum Rechenverfahren aus dem Jahr 1989 ist die Berechnung zwar komplizierter, dafür aber wesentlich differenzierter. Mithilfe einschlägiger, teilweise kostenloser Software sowie mit dem stark erweiterten Bauteilkatalog (DIN 4109, Teil 31–36) lässt sich der Schallschutznachweis viel genauer durchführen. Nach ersten Lernschritten zeigt sich, dass mit den modernen Rechenverfahren die Abhängigkeiten der geforderten Größen für Luft- und Trittschalldämmung von der Konstruktion (Material, Art und Aufbau der Stoßstelle usw.) direkt sichtbar und erfahrbar werden. Die Software wird zum Lerninstrument für Schallschutz.
Problem: Installationsgeräusche
Leider steht bis zum heutigen Tag noch kein Rechenverfahren für Geräusche aus Wasserinstallationen oder haustechnischen Anlagen zur Verfügung, da allgemeine Körperschalleinleitungen in den Baukörper aufgrund der physikalischen Gesamtkomplexität derzeit nicht erfassbar sind. Zum Leidwesen der Bauausführenden ist man hier mit Ausnahme der Aufzüge (DIN 8989) bei der Installation von technischen Geräten wie Kältemaschinen, elektrischen Garagentoren, aber auch Sanitärinstallationen in Bädern auf Erfahrungen und Musterinstallationen angewiesen. Es zeichnet sich für die nächsten Jahre hier keine Änderung ab.
Problem: tiefe Frequenzen
Nicht zuletzt muss festgestellt werden, dass aus sachverständiger Sicht in Deutschland die Übertragung tiefer Frequenzen < 100 Hz, wie sie Bassmusik oder Fußtrampeln erzeugen, heutzutage eines der meistbeklagten schalltechnischen Probleme darstellt. In Deutschland ist der Schallschutz für die Luft- und Trittschalldämmung nur oberhalb von 100 Hz geregelt. Die Einbeziehung tiefer Frequenzen beinhaltet zwei Probleme: Zum einen steigt physikalisch bedingt die Prognose- und Messungenauigkeit für tiefe Frequenzen von circa einem Dezibel bei 1.000 Hz auf vier Dezibel (DIN 12999-1) bei 50 Hz stark an, was eine neue Umgangsweise mit geringen Überschreitungen von Anforderungen nach sich zieht.
Zum anderen ergibt sich eine Verschiebung der „Wertigkeit“ von Bauteilkonstruktionen: Der Holz- und Leichtbau würde physikalisch bedingt bei tiefen Frequenzen schlechter abschneiden als der Massivbau. Zwar berät derzeit ein eigens eingerichteter Arbeitskreis über die Frage der möglichen zukünftigen Einbeziehung tiefer Frequenzen, jedoch sind hier hohe Hürden bei Messung und Prognose ebenso zu erwarten wie erhebliche Widerstände von Teilen der Bauwirtschaft. Auch angesichts erster Gerichtsurteile zu tiefen Frequenzen (OLG München, Az.: 9 U 3562/2017) ist insgesamt in absehbarer Zeit nicht mit einer Änderung der aktuell sehr unbefriedigenden Ist-Situation zu rechnen.
Professor Alfred Schmitz ist Sachverständiger für Bau-, Raum– und Elektroakustik und Geschäftsführer der TAC – Technische Akustik in Grevenbroich
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